Inception

Wer will ich sein?
Abgesehen von der Möglichkeit, die Intonation so auszulegen, dass die Folgefrage Irgendjemand? Will irgendjemand ich sein? lauten könnte und die Frage ad absurdum führt, wäre meine bevorzugte Antwort Meine eigene Katze. Bedingungslos liebgehabt, in Grund und Boden gekrault, und wenn ich den felinen Mittelfinger zeige, bin ich trotzdem noch niedlich.

Wer will ich °thefuck° sein?
Diejenige, die mit einem angetäuschten Suizidversuch nach Hilfe schreit, möglicherweise ein paar Tage in der Psychiatrie landet und deutlich mehr als nur sich selbst verletzt? Keine so schlaue Idee. Aber eine – sehr detailliert ausgemalte – Option.

Wer will ich sein?
Das ist die Frage, die er stellt. Und ich hasse ihn dafür. Weil er Recht hat. Weil sie wichtiger ist als Wer bin ich.

Reziprok

Der persistierende Ductus arteriosus zählt zu den angeborenen Herzfehlern. […] Kann der Verschluss nicht konventionell erreicht werden, wird eine invasive, operative Maßnahme nötig. Von 1938 (Robert Edward Gross und J. P. Hubbard) bis 2005 geschah dies mithilfe eines chirurgischen Eingriffs. Der Schnitt wurde an der linken Brustkorbseite zwischen den Rippen geführt, der PDA je nach seiner Form und Länge durch ein oder zwei Bändchen abgeschnürt und oft zwischen diesen Abschnürungen durchgeschnitten.

Quelle: Wikipedia



Vor wenigen Monaten erst ist sie ein Jahr alt geworden. Und nach einigen Arztbesuchen und besorgt klingenden Elternstimmen findet sie sich an einem Ort wieder, den sie weder versteht, noch leiden kann. Die Wände sind weiß und kahl, das Bett, aus dem nun ihre Welt – für immer? sie weiß es nicht – besteht, hat ein kaltes Metallgitter und außer Mama, Papa und ihrer Spieluhr aus Plüsch kennt sie niemanden.
Es geben sich zwar alle Mühe, lieb zu ihr zu sein, aber trotzdem wird sie mit Nadeln traktiert und auch der flehende Blick zu Mama, auf deren Schoß sie sitzt, bewahrt sie nicht davor. Sie bleibt tapfer und scheinbar macht sie das gut, bekommt sie doch Lob dafür. Das merkt sie sich.
Aber dann wird es Abend und Mama lässt sie allein an diesem gruseligen Ort weit weg von Zuhause. Sie weiß nicht, ob sie schläft oder bloß bis zur totalen Erschöpfung weint, aber am nächsten Tag ist Mama wieder da. Doch dann werden sie wieder getrennt, von diesen lieben gemeinen Menschen in Weiß, die sie in einen weiteren gruseligen Raum bringen und dann wird alles dunkel.
Als sie aufwacht, ist Mama da, aber sie fühlt sich komisch und versteht nicht, warum sie einen Verband und Schmerzen hat. Irgendetwas schlimmes muss passiert sein, und Mama umsorgt sie ganz besonders.
Dann wird es Abend und wieder muss Mama gehen. Wieder muss sie allein sein in diesem fremden Bett mit den fremden Leuten und den Schmerzen. Sie weint und es wird wieder Tag. Mama kommt zurück.
Viele unendlich scheinende Tage und Nächte gehen ins Land, Papa schaut ab und zu vorbei und auch die Omas. Alle sind irgendwie besorgt, aber auch glücklich. Sie fühlt sich am Tag ganz besonders lieb gehabt und nachts verlassen. Nichts davon versteht sie.
Dann kommt ein Tag, der anders ist. Sie wird ins Auto getragen, dass ein bisschen nach Zuhause riecht und Mama und Papa fahren los. Sie schläft, als hätte sie es wochenlang nicht getan.
Als sie aufwacht, ist sie zuhause. Endlich. Doch als es dunkel wird, kommen die Erinnerungen. Ans Alleinsein, an fremde liebe gemeine Menschen, an kahle Wände und Metallgitterstäbe. Sie hat große Angst und weint und schreit so laut, dass sie nicht hören kann, wie auch ihre Mama weint, weil Papa und Oma sie nicht zu ihr lassen wollen, weil sie lernen muss, dass sie auch weiterhin allein schlafen muss. Und sie lernt es.



Nicht jeder darf links von mir gehen. Schon garnicht jederzeit. Und falls doch, heißt das noch lange nicht, dass es morgen oder auch in 10 Minuten noch genauso ist. Wer aber – mindestens aktuell – links mal garnicht geht, ist mein Papa, wie ich kürzlich herausfand. Es ist schlicht nicht möglich.



An manchen Dingen könnte ich mir einen Knubbel essen. Sogar während Rosa ganz besonders restriktiv war. (Johannis-)Beeren gehen immer. Genau wie Äpfel, Zwetschgen, Blaukraut, grüne Tee, Kaffee oder – wenn auch nur in der nicht rosanen Theorie – Tempeh.
Durch Zufall stoße ich vor wenigen Tagen darauf, dass all das besonders viele Flavonoide enthält. Und Wikipedia sagt: Weiterhin stehen Flavonoide im Verdacht, zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus zu führen.



Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken

PNR

Ich sitze im Wald auf einem umgefallenen Baum und denke an Dinge, die viele ver- und manche zerstören würde. Vogelgezwitscher dringt zwischen den Liedern in mein Bewusstsein und erinnert mich daran, dass es etwas außerhalb meines Kopfes gibt. Dennoch ich habe ich das Gefühl, weder hierher, noch irgendwohin zu gehören. Zu viel Raum einzunehmen in einer Welt, die nicht für mich gemacht ist – und ich nicht für sie.
Unsere Oberflächen interagieren, aber nichts berührt mich wirklich. Ich höre und lese die Bekundungen, wie stolz alle auf mich sind, wieviel ich erreicht hätte, wie stark ich sei und ziehe es vor, nur heimlich und in aller Stille zusammenzubrechen. In meinem Kopf Szenarien durchzuspielen und mich an die winzigen Momente zu halten, in denen es aushaltbar scheint.

Schreikind

Krankengymnastik steht zwar in der Verordnung, aber passieren tut etwas anderes. Etwas ganz anderes*.
Als die Therapeutin, die ich am ehesten als
Urmutter oder Schamanin bezeichnen würde – und das ohne jede Esoterik, sondern im Sinne einer Heilerin – meine Narbe berührt, sprechen wir über Hinter- und Abgründe, den Impuls, an meinem Daumen zu nuckeln und dass ich ganz dringend meiner Mama ein paar Fragen stellen sollte.
Als ich den Raum verlasse, fühle ich dumpfen Druckschmerz auf frisch gestreichelten, vor langer Zeit aufgespreizten Rippen, Übelkeit, Kopfschmerz und Kurzatmigkeit. Meine Hände zittern.

Also stelle ich Fragen zu etwas, das ich für erzählt hielt, und erfahre Details, die bisher verschwiegen unerwähnt blieben.
Während ich die Sprachnachricht höre, spüre ich den drohenden Tsunami. Etwas zieht sich zurück, so dass Nervenenden blank und ungeschützt vor mir liegen. Ich höre das tiefe Grollen dessen, was auf mich zu rollt und weiß mit unabwendbarer Gewissheit, dass es mich zermalmen wird. Der Wind, den die Welle vor sich hertreibt, beißt in meinen Augen und lässt mich diffus panisch werden. Ich schließe die Augen in Erwartung des Unabwendbaren und finde mich plötzlich mit einem Hammer und einem inzwischen ziemlich leeren Sack Nägel wieder, von denen ich bereits einen Großteil in den Deckel Kiste geschlagen und darin nun auch den Tsunami versteckt habe.

Rational betrachtet ist das ein frühkindliches Trauma. Emotional betrachtet ist das mein frühkindliches Trauma. Unbetrachtet passt es ganz gut in die Kiste, auch wenn ein paar Enden noch rausgucken.

*Somatic-Movement-Therapie oder Somatic Experience, falls es jemanden interessiert

Bedrohung

[Triggerwarnung]

Rosa ist frustriert, weil die erlaubten 30 Minuten Bewegung am Tag in Form von Spaziergängen – auch wenn sie bei maximalem Tempo mit möglichst viel Strecke gefüllt werden – lächerlich sind und ich mich seit zwei Wochen auch noch brav daran halte. Also, bis gestern zumindest. Ich brauche ja ein Thema fürs nächste Einzel.

Das letzte Einzel verbringe ich damit, die Selbstverletzung, die ich geheim halten wollte, detailliert zu erörtern. Nicht, weil ich mich freiwillig anders entschieden hätte, sondern weil Körper der Meinung war, sein Leid in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen zu müssen. Gut, ich habe wohl meinen Körperfettanteil ein klitzekleines bisschen falsch eingeschätzt, als es um die Tiefe ging – immerhin ist das letzte Mal knappe 20 Kilo her. Also hole ich mir bei der medizinischen Zentrale einen Verband ab, bei dem ich schon beim Anlegen denke, dass er verdächtig locker sitzt in Anbetracht meiner Sickerblutung, die seit 3 Stunden anhält. Als im Speisesaal beim Abendessen mein Arm plötzlich rote Schlieren auf der Tischplatte hinterlässt, weil es durch diverse Lagen Verband, ein langärmliges Oberteil und eine dicke Sweatjacke gesuppt ist, verkleinert sich schlagartig mein Sichtfeld. Ich schnappe ich mir eine Serviette und gehe erneut zur MZ. Einen Druckverband später, der so fest wie der vorherige locker ist, bin ich wie im Tunnel und möchte im Boden versinken.
Als ich am nächsten Morgen aufwache und meine Hand betrachte, muss ich an Star Trek denken – wenigstens ist meine Zunge nicht taub. Also muss ich noch einmal zur MZ und ernte dort wie auch später von meinem Mitpatienten ungläubige Blicke angesichts des Ballons, der nur entfernte Ähnlichkeit mit einer Hand hat, bekomme aber nun SteriStrips – die mir bisher nicht angeboten wurden – und endlich einen vernünftigen Verband.

Am Abend bin ich vorsichtiger. Ein Pflaster und ein selbst improvisierter Druckverband reichen.

Dass ich nun kommende Woche im Einzel wie vereinbart ganz einsichtig meine gebrauchten Rasierklingen abgebe, geschieht einzig deshalb, weil ich bereits neue habe – Rosa, Schwarz und Rot haben sich zusammengetan und eine Petition eingereicht, weil sie sich unmöglich auch noch diesen durchaus zweideutig zu verstehenden letzten möglichen Ausweg wegnehmen lassen können. Ich stimme dem zu.