Rauhnacht

Zwischen den Jahren . ZwischenWelten. Ich scrolle durch Selfies und Monate, die zusammen mit Körpergewicht und Blut im Dunkel versickert sind.

Es ist November, nach einem Monat Psychiatrie, weiteren Wochen Krankschreibung und in meiner nochmal deutlich heruntergeschraubten Wiedereingliederung. Die neue Frau Therapeutin und ich stellen immerhin so viel Gewicht wieder her, dass sich mein Uterus mal wieder angesprochen fühlt. Nicht, dass ich das irgendwie bräuchte, aber was tut frau nicht alles für die Gesundheit.

Zum ersten Mal seit – ja, immer, irgendwie?! – spüre ich das Leben und denke voller Staunen, dass sich so also Leben anfühlt. Nicht nur struggeln, hustlen und irgendwie halbwegs überleben.

Und fuck, ist das geil.

Lebenserwartung

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Typ Borderline steht – unter anderem – im Entlassbericht nach meinem mehrwöchigen Aufenthalt in der beschützenden, anschließend offenen Station der Psychiatrie. Und plötzlich machen die letzten 25 Jahre Sinn.
Ich kann garnicht beschreiben, wie sehr es mich durcheinanderkegelt, als der Psychiater mir anhand dieser Diagnose mein inneres Erleben derart treffend skizziert. Mindblowing.

Jetzt setze ich eine Maschinerie in Gang, an die ich nicht wirklich glaube und zu der ich weitgehend nur extrinsisch motiviert bin, was laut dem inzwischen dritten von den vier vor mir liegenden Ratgebern nur wenig zielführend sein wird. Dennoch tue ich es, darauf hoffend, dass mich irgendwer heilt.

Nach wie vor kann ich kaum klar denken und mir noch viel weniger vorstellen, in zwei Wochen eine berufliche Wiedereingliederung zu starten in dem Job, der mir so viel gibt und noch mehr nimmt. Der mich in die Klappse geführt hat.

Wegrationalisierung

Ratio so beim Reden zuzuhören macht nicht immer wirklich Spaß. Also darf sie sich derzeit so richtig oft bei Orange einmischen, dann macht sie anderen halt keinen Spaß. Und Orange hat gerade echt nen Arsch voll Arbeit. So kann Ratio wenigstens nicht allzu offensichtlich darüber nachdenken, wie es gerade so läuft. Nicht, nämlich.
Nicht nur, dass die inzwischen ~2/3 meines wiederhergestellten Gewichts auch gleich auch meinen Zyklus entfernt haben, sondern auch, dass meine nur klangvoll hübsche Röschenflechte zurück und meine Verdauung nochmal ein ganz eigenes Thema ist.
Mit ein Grund, sie Orange aufs Auge zu drücken, ist auch ihre Meinung zur Klinik und meinem Talent, Offensichtlichkeiten vorzuschieben (…therapiere man mich!), um ja nicht in die Verlegenheit zu kommen, wirklich Wichtiges zu thematisieren.
Und auch, wenn es ziemlich sicher eine weitere Selbstlüge ist, rede ich mir ein, dass es halt auch am Alter liegt. Natürlich ist es leicht, einem:r gerade so postpubartären Patient:in – wie sie zu 98% die Erwachsenenstation füllen – zur Heilung die Möglichkeit zu bieten, das eigene Leben zu hinterfragen und sich samt selbigem selbst ganz neu zu erfinden. Mach das mal mit Verpflichtungen. °inbeideRichtungenmitdenAugenroll°
Wir haben also eine Stille Übereinkunft, Ratio und ich. Nur brüllt die leider sehr laut, wenn sie gerade nüscht zu tun hat.

Zielbild

Am Rande des Abgrunds sind noch Plätze frei, also setze ich mich und baumle mit den Füßen im Dunkel. Nur noch ein Hauch trennt mich von einer Panikattacke, die wühlend und brüllend knapp an der Wahrnehmungsgrenze kratzt. Ich halte mir Augen und Ohren zu – seh ich dich nicht, siehst du mich nicht. Erstaunlicherweise funktioniert es, was kaum weniger beängstigend und nicht besonders zukunftsorientiert ist. Körper würde außerordentlich gerne einfach loslassen, sich überschwemmen und zermalmen lassen von dem, was dort droht, aber ich lasse ihn nicht – allein schon aus dem absoluten Unverständnis heraus, dass erst 2/3 des Weges geschafft sind und er sich schon anstellt, als wären wir am Ziel. So nicht, mein Lieber. Wir waren schon ganz woanders, also bilde dir nicht ein, jetzt schon einknicken zu dürfen.

Brandopfer

Da eine Löschung unmöglich scheint und ich die Flammen schon wieder und seit zu langer Zeit nur mit Backburning bekämpfe, wundere ich mich nicht so richtig darüber, dass Körper auf den Stress nicht nur mit einem gepflegten kleinen Nervenzusammenbruch auf die Reste meines Teams, das trotz aller Bemühungen in immer kleinere Trümmerteile zerfällt, reagiert, sondern gerade auch keinerlei Kapazitäten zum Menstruieren zur Verfügung stellt. Stattdessen investiert er einen Teil seiner nicht-Energie in lustige Verdauungsbeschwerden – über die maximal Rosa sich freut – und anderen Körperkram, so dass ich heute nicht mal spazieren gehen mag. Das wiederum mag Rosa gar nicht, aber ich rede mich raus mit der Nähe der Sanitäranlage und dass ich ja schon einkaufen war, das Bad geputzt und das Erdgeschoss gestaubsaugt habe. Hm, sagt sie.