Interferenz

Ich bin unverhältnismäßig stolz drauf, wie ich Frau inzwischenExTherapeutin pünktlich zum Ende der Akuttherapie davon überzeuge, dass ich ganz hervorragend stabil bin und auch °überhaupt nicht mehr anorektisch°, wie sie mir spiegelt. °Oder haben Sie noch Leidensdruck?° fragt sie. Meine Antwort ist selbstverständlich °Nein°, auch wenn ich das eigentlich anzufügende °nur Hunger° am Ende dieser Aussage verschweige, was aber garnicht schwer ist, weil Hunger sowieso schon sehr lange nicht mehr zu meinem aktiven Wortschatz zählt.
Rosa zeigt sich angesichts dieser Negierung ihrer Existenz zwar etwas eingeschnappt, aber mit Blick auf meine nie erwähnte TrackingApp, die inzwischen wieder einmal motzende ZyklusApp und Frau inzwischenExTherapeutins angefügte Aussage, dass ich ja schon noch so am ganz unteren Ende vom Normalgewicht bin – noch, Rosa, noch… – lässt sie sich dann doch zur Ghettofaust hinreißen.

°Also dann, jetzt Leben sie erstmal° sagt sie und wir verabschieden uns.
Habe ich vor. Aber mit Rosa, weil ich ohne sie echt nicht alleine sein will in meinem Kopf.

Phantasmagorie

Auch, wenn ich jener Halbbekanntverwandten definitiv nicht begegnen werde, die auf der Beerdigung meiner Oma nichts besseres zum nicht menstruierenden Körper zu sagen wusste als °Hömma, schlank bisse!°, ist es vielleicht nachvollziehbar, dass ich nicht in Jubel verfalle, entgegen meinem festen Plan, diesen Urlaub nicht bei meiner Familie vorbeizuregnen, nun keine andere Wahl habe. Aus Gründen.
Die Frage, ob ich mir mit diesen Aussichten Prozente gönne, zerschellt an Rosa, die darauf verweist, dass Wirkstoffe bedeutend weniger Kalorien haben. Recht hat sie.
Immerhin entgehe ich so mal wieder einem Termin mit Frau Therapeutin. Ob das nach dem Katastrophentermin, der ebenfalls nächste Woche ansteht, so besonders schlau ist, wird sich zeigen.
Aber so kann ich wenigstens ihre dringende Empfehlung, beim Ausschleichen laaaangsaaaam zu machen, ganz unbehelligt ignorieren.
BrainZap. 2 Weeks to go.

Polymorph

Die innig umarmte Dunkelheit lehnt sich selig an Rosa und beide lassen mir gerne den Vortritt bei Frau Therapeutin, wo ich keine Ahnung habe, was ich ihr erzählen soll. Läuft doch.
Auf alle Fälle übe ich mich in ausgeprägter Ambiguitätstoleranz gegenüber meinem Selbstbild und meinem Handeln, was meine manipulativen Eigenschaften betrifft. Weil, ich bin ja kein manipulativer Mensch, aber Frau Therapeutin muss ja nun auch wirklich nicht alles wissen.
Nee, echt jetzt, mir geht’s garnicht schlecht. Glaube ich? Aber so richtig Bock habe ich halt auch nicht, mich mit ihr und mir auseinanderzusetzen. Rosa bleibt und Dunkelnebel sind eh faszinierend. Und. Diskutieren tu ich das maximal im cerebralen Sitzkreis.

So konzentrieren wir uns auf das geplante Ausschleichen meiner KreativitätsSerotoninwiederaufnahmehemmer und ihre Leidenschaft fürs Langlaufen.

Ich hab jetzt Urlaub. Und Brainzaps.

Fluktuation

Ich entgleite mir ein bisschen. Nicht viel, glaube ich, aber der Jahreswechsel hat irgendwas mit mir gemacht. Vielleicht, weil ich langsam verstehe, wie dramatisch das für mich war. Wie viel es verändert hat.
So hat sich da neben dem fuck, ist das geil-Gefühl auch Rosa ein bisschen mehr wieder eingeschlichen – und wir arrangieren uns unauffällig. Der Parasit säuselt mir gelegentlich Cravings ins Ohr und omg, wie gerne ich ihn mit Prozenten zum Schweigen bringen würde.
Wir müssen wohl mal einen Stuhlkreis machen.

Rauhnacht

Zwischen den Jahren . ZwischenWelten. Ich scrolle durch Selfies und Monate, die zusammen mit Körpergewicht und Blut im Dunkel versickert sind.

Es ist November, nach einem Monat Psychiatrie, weiteren Wochen Krankschreibung und in meiner nochmal deutlich heruntergeschraubten Wiedereingliederung. Die neue Frau Therapeutin und ich stellen immerhin so viel Gewicht wieder her, dass sich mein Uterus mal wieder angesprochen fühlt. Nicht, dass ich das irgendwie bräuchte, aber was tut frau nicht alles für die Gesundheit.

Zum ersten Mal seit – ja, immer, irgendwie?! – spüre ich das Leben und denke voller Staunen, dass sich so also Leben anfühlt. Nicht nur struggeln, hustlen und irgendwie halbwegs überleben.

Und fuck, ist das geil.

Wachstumsschmerz

Es mag am mentalen Ultramarathon der letzten Woche bis Monate liegen, dass sich heute multidimensionale Erschöpfung schwer und ausgesprochen unhöflich auf mich drauf legt. Immerhin führt sie dazu, dass ich einen Teil der scheinbar vor ebenso vielen Wochen bis Monaten verschluckte Kreativität auskotzen kann.
Das letzte halbe Jahr verschwimmt in meinem Gedanken, denn eigentlich ist viel zu viel passiert dafür, dass es nur 24 Wochen sein sollen, in dem Erinnerungen trügen oder gar nicht erst mehr vorhanden sind. Fertig wiedereingegliedert, wie ich nun seit gestern bin, starte ich Montag in meine altes neues Leben – ohne Teamleitung, sondern als Expertin auf meinem Gebiet. Diese Raumforderung, diese Wucherung von unerfüllbarer Verantwortung ist endlich nicht mehr Teil meines Arbeitens. Nur ich und mein Fachwissen, mit dem ich gerne anderen aushelfe, bei Rumheulerei aber künftig sagen kann, nicht meine Baustelle. Sowas von nicht.
Dankbarkeit und schiere Euphorie lassen mich nach dem Weihnachtsessen und der Mitteilung ans Team teils beseelt, teils zum Bersten angespannt nach Hause fahren. Den Fuß auf dem Gaspedal, die Gedanken bei Cravings und der Gewissheit, dass dort eine Tavor auf mich wartet, mit der ich mich statt meiner Gefühlsexpolsion beschäftigen kann.
Vielleicht darf ich da heute einfach mal ein bisschen im Arsch sein. Auch, wenns mir erschreckend oft fucking gut geht in letzter Zeit.