Fluktuation

Ich entgleite mir ein bisschen. Nicht viel, glaube ich, aber der Jahreswechsel hat irgendwas mit mir gemacht. Vielleicht, weil ich langsam verstehe, wie dramatisch das für mich war. Wie viel es verändert hat.
So hat sich da neben dem fuck, ist das geil-Gefühl auch Rosa ein bisschen mehr wieder eingeschlichen – und wir arrangieren uns unauffällig. Der Parasit säuselt mir gelegentlich Cravings ins Ohr und omg, wie gerne ich ihn mit Prozenten zum Schweigen bringen würde.
Wir müssen wohl mal einen Stuhlkreis machen.

Rauhnacht

Zwischen den Jahren . ZwischenWelten. Ich scrolle durch Selfies und Monate, die zusammen mit Körpergewicht und Blut im Dunkel versickert sind.

Es ist November, nach einem Monat Psychiatrie, weiteren Wochen Krankschreibung und in meiner nochmal deutlich heruntergeschraubten Wiedereingliederung. Die neue Frau Therapeutin und ich stellen immerhin so viel Gewicht wieder her, dass sich mein Uterus mal wieder angesprochen fühlt. Nicht, dass ich das irgendwie bräuchte, aber was tut frau nicht alles für die Gesundheit.

Zum ersten Mal seit – ja, immer, irgendwie?! – spüre ich das Leben und denke voller Staunen, dass sich so also Leben anfühlt. Nicht nur struggeln, hustlen und irgendwie halbwegs überleben.

Und fuck, ist das geil.

Intoxikation

Das System, auf das ich zur Beerdigung meiner Oma treffe, könnte kaputter kaum sein. Zumindest hat es so scharfe Kanten, dass ich fluchtartig schon einen Tag früher als geplant wieder im Auto sitze und lieber 7 + X Stunden Freitagsverkehr in Kauf nehme, als noch eine Minute länger an dem Ort auszuharren, bei dem der einzig beständige Gedanke Ich muss hier weg ist.

Während Papa innerhalb weniger Atemzüge erst meine zu schlanke Figur kommentiert, dann mein – natürlich mitgebrachtes – Abendessen als kalorientechnisch deutlich günstiger einstuft als seine zwei Laugenbötchen mit einem großen Pott billiger Krabbenmayo und sich dann darüber auslässt, dass er im Urlaub ja so viel zugenommen hat und dringend abnehmen muss, kämpfe ich damit, überhaupt etwas zu essen.

Rosa hat ihre beiden Rockzipfel in der Hand und macht einen tiefen Knicks, als alte Halbbekanntverwandte vor der Kirche nichts besseres zu sagen wissen als ein vor Bewunderung triefendes °Hömma, schlank bisse!°
Ich ziehe es vor, nicht darauf einzugehen, dass Körper menstruieren gerade nur so semi verfolgt und Rosa gerade meine größte Stütze ist.

Ich sitze vor meinem ineinander gestapelten Kuchenservice und ringe mich mit Mühe und Not zu einem Latte Macchiato durch, während die Verwandtbekanntschaft über Wurstbrote und Windbeutel herfällt.
Schwager erzählt stichelnd, wieviel Kalorien mein Bruder täglich für seinen Muskelaufbau verputzt und dass er alles fein säuberlich trackt. ° Also das wär mir viel zu anstrengend! ° stellt Cousine halb amüsiert fest. Deswegen essen wir einfach nichts, denkt Rosa.

Ich kann meine Jeans ausziehen, ohne dass ich die Knöpfe aufmache.

Entflammt

Weitermachen heißt manchmal, einen Schritt vorwärts zu gehen.
Weitermachen heißt manchmal, auf der Stelle stehen zu bleiben und nur zu atmen.
Weitermachen heißt manchmal, einen Schritt zurück zu machen und verlorene Teile wieder aufzusammeln.
Weitermachen heißt, sich alles zu erlauben – jeden Schritt vorwärts, jedes Straucheln, jeden Schritt zurück – aber nicht aufzugeben.
Weitermachen heißt, handlungs- und entscheidungsfähig zu sein.

Weitermachen heißt, dass ich trotzdem eine Scheißangst davor haben darf.

Mankei

Es geht mir gut, auch wenn es da ein mehr oder weniger scharf abgegrenztes Aber gibt, das ständig vor mir im Weg rumsteht.
Eigentlich steht es da ja ganz gut, weil es auf dem unheimlich anmutenden Loch steht, in das ich garnicht so genau reinsehen möchte. Aber Loch und Aber sind auch ziemlich anhänglich, so dass ich sie fast immer im Blickfeld habe, außer wenn ich etwas mache. Egal was, hauptsache es ist was mit Bewegung. Wandern, Spazieren, Studio. Aber Abends ist das Aber dann meistens ziemlich angepisst und fragt mich mit hochgezogener Augenbraue und einem passiv-aggressiven Unterton, ob ich nicht vielleicht auch einfach mal Nichts machen könnte. So richtig echt gammeln. Und abends stimme ich überzeugt zu, mit dem festen Willen, den Wecker heutefrüh nur und ausschließlich dazu zu nutzen, Schatz zu sagen, dass ich nicht aufn Berg latschen, sondern den Tag im Bett oder maximal auf der Couch verbringen möchte – muss! – weil die sonst weint und sich nutzlos fühlt.
Aber dann geht der Wecker und es ist früh und Sommer und die schönste aller Tageszeiten und ich habe Energie und Lust und hey, es ist halt schön aufm Berg! Also gehen wir, sehen handgroße Libellen, flauschige Murmeltierhintern und keine Gämsen, aber davon hatten wir dafür beim letzten Mal schon Vier und unser Kontingent ist wahrscheinlich damit erst einmal erschöpft. Ja, es ist verdammt scheißschön aufm Berg.
Und jetzt kann ich gammeln. Keinen ganzen Tag, nichtmal einen halben, aber das Aber wird ein bisschen kleiner und es scheint etwas Sonne ins Loch. So gruslig ist es garnicht. Ich muss nur ab und zu mal reinsehen.

Signalstärke

Nach dem Stress der letzten Wochen, in denen auf eine Pilzinfektion erst das Ausbleiben meiner Menstruation und dann eine Blasenentzündung folgten, ist meine Mama erneut zu Besuch. Du siehst gut aus! sagt sie. Siehste! sagt Rosa, die am nächsten Morgen mit mir das neue Tiefstgewicht seit meiner Entlassung bewundert.

Wir essen jetzt trotzdem mehr und ich bin ein kleines bisschen stolz auf Rosa, dass sie einigermaßen brav mitzieht.