Jetzt ist sie also auch offiziell an die Wand genagelt, meine Teamleitungsposition. Zusammen mit einem vielleicht nicht so selbst auferlegten Rollenbild, das sich ganz wunderbar daneben macht. Mein nun nicht mehr nur pharmaziebefreites Ich nutzt diesen Umstand gnadenlos aus und tut weder ach so geduldig oder sehr interessiert an Unfähigkeiten oder Anbiederungsversuchen, und es fühlt sich schlichtweg großartig an.
Probleme kann ab sofort bitte jede:r einfach behalten oder jemand anderem aka. unserem Chef ans Knie nageln, ich nehme nur noch die lösbaren, weil fachlichen Dinge an. Und bin fantastisch darin.
Zwischen den Jahren . ZwischenWelten. Ich scrolle durch Selfies und Monate, die zusammen mit Körpergewicht und Blut im Dunkel versickert sind.
Es ist November, nach einem Monat Psychiatrie, weiteren Wochen Krankschreibung und in meiner nochmal deutlich heruntergeschraubten Wiedereingliederung. Die neue Frau Therapeutin und ich stellen immerhin so viel Gewicht wieder her, dass sich mein Uterus mal wieder angesprochen fühlt. Nicht, dass ich das irgendwie bräuchte, aber was tut frau nicht alles für die Gesundheit.
Zum ersten Mal seit – ja, immer, irgendwie?! – spüre ich das Leben und denke voller Staunen, dass sich so also Leben anfühlt. Nicht nur struggeln, hustlen und irgendwie halbwegs überleben.
Es mag am mentalen Ultramarathon der letzten Woche bis Monate liegen, dass sich heute multidimensionale Erschöpfung schwer und ausgesprochen unhöflich auf mich drauf legt. Immerhin führt sie dazu, dass ich einen Teil der scheinbar vor ebenso vielen Wochen bis Monaten verschluckte Kreativität auskotzen kann. Das letzte halbe Jahr verschwimmt in meinem Gedanken, denn eigentlich ist viel zu viel passiert dafür, dass es nur 24 Wochen sein sollen, in dem Erinnerungen trügen oder gar nicht erst mehr vorhanden sind. Fertig wiedereingegliedert, wie ich nun seit gestern bin, starte ich Montag in meine altes neues Leben – ohne Teamleitung, sondern als Expertin auf meinem Gebiet. Diese Raumforderung, diese Wucherung von unerfüllbarer Verantwortung ist endlich nicht mehr Teil meines Arbeitens. Nur ich und mein Fachwissen, mit dem ich gerne anderen aushelfe, bei Rumheulerei aber künftig sagen kann, nicht meine Baustelle. Sowas von nicht. Dankbarkeit und schiere Euphorie lassen mich nach dem Weihnachtsessen und der Mitteilung ans Team teils beseelt, teils zum Bersten angespannt nach Hause fahren. Den Fuß auf dem Gaspedal, die Gedanken bei Cravings und der Gewissheit, dass dort eine Tavor auf mich wartet, mit der ich mich statt meiner Gefühlsexpolsion beschäftigen kann. Vielleicht darf ich da heute einfach mal ein bisschen im Arsch sein. Auch, wenns mir erschreckend oft fucking gut geht in letzter Zeit.
Rosa strahlt, weil wir an dem Tag, an dem wir die selbst gesetzte Minimalgrenze auf der Waage unterschreiten, auch unsere Menstruation hätten bekommen sollen. Die hustet aber nur kurz und ich bin über mich selbst erstaunt, als ich ein ernstes Gesicht aufsetze und Rosa erkläre, dass Husten gerade garnicht gut ankommt. Betreten schaut sie auf ihre Füße und murmelt ein leises Ups vor sich hin, während ich – immer noch erstaunt – an höhere Fettzufuhr denke. Und weil ich Rosa nicht böse sein möchte und sie gut verstehen kann – erst der Besuch* meiner weiterhin diätenden Mama, die vieles nicht versteht, dann der von furchtbar krampfig-oberflächlichen Gesprächen dominierte Besuch* von Papa und anschließend der wundertolle, aber körperlich anstrengende Besuch* sehr lieber Freunde innerhalb von nur 3 Wochen – machen wir uns gemeinsam an die richtige Planung. Ein paar Kalorien mehr – und Mandelmus. Das ist der Deal. Rosa findet das zwar eher so semi, aber sie ist auch erstaunlich einsichtig und froh, dass sie die Küchenwaage dennoch weiter exzessiv benutzen darf.
Ich bin ein bisschen stolz auf uns.
*Besuch in einer Urlaubsregion, in der wir wohnen, heißt für andere genau das: Urlaub. Für uns ist das eher so: wah, Menschen.
Selbstwert und Stimmung stehen sorgfältig austariert, aber nicht besonders sicher auf den tönernen Füßen von Arbeit und Sport, während ich aufmerksam darauf achten muss, dass Rosa und der Parasit nicht plötzlich los- und alles über den Haufen rennen. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob es bloß ein Quasi ist und Rosa mich nicht äußerst geschickt an der Nase herum führt, oder doch einfach mein Weg, meine Babyschritte in die richtige Richtung. Meins. Mein Leben, dass sich gerade wieder lebenswert anfühlt, trotz Küchen- und Körperwaage, trotz vorhandener Restriktionen, die aber so unendlich weit von dem entfernt sind, wie es vor oder auch kurz nach der Klinik war. Mit Sport, mit Essen, was sich auf einer Skala zwischen krank und gesund zwar sicher noch bei gestört, aber mit deutlicher Tendenz zur gesunden Seite hin einordnen lässt. 50kg mehr bei der Beinpresse als vorher kommen sicher nicht von ungefähr. Auch Grau gönnt sich und mir eine Auszeit und lässt wieder Farben zu. Meins.
Argwöhnisch und mit hochgezogener Augenbraue betrachte ich dieses seltsam fantastische Gefühl, einen Plan zu haben, ohne dass es ein wirkliches Ziel braucht. Gestern. Ich stehe auf dem CrossTrainer im FitnessStudio, nachdem ich dort – nachmittags, also mit Essen und Trinken in mir drin – auf der Waage war, um meinen Muskel- und Körperfettstatus zu erfahren und einen Termin zur Trainingsplanbesprechung für nächste Woche ausgemacht habe und °pling° ist er da. Der Plan. Für die Arbeit. Für Sport. Fürs Essen. Mit Rosa. Mit dem Parasit. Beide an der Hand, halb umarmt, lassen mich planen. Und schauen beinahe neugierig zu. Und heute? Ist er immer noch da. Ein Plan für mein Leben. Ganz unaufgeregt, kein 5-Jahres-Masterplan mit smarten (Treppen-)Zielen, sondern einfach ein ok, ich mach einfach weiter 3 Mal die Woche Sport für richtig echten Muskelaufbau, schaue weiter trackend, aber kritisch auf meine Ernährung und konzentriere mich in der Arbeit auf die und die Punkte. Und dann schau ich mal, was passiert. Ja, ich bin genauso perplex. Freue mich und habe Angst, mich zu freuen, weil es mich ja auch nur verarschen könnte. Also, das Leben. Oder mein Gehirn. Oder so. °Bähm° halt.