Fünfhundertachtundvierzig

Körper sagt, er ist nun ausreichend wiederhergestellt, um zu menstruieren. Zumindest ein bisschen.
Ich sehe ihm mit hochgezogener Augenbraue dabei zu und frage mich, wann er gedenkt, seine Hirnchemie mal näher in Augenschein zu nehmen, statt sich um derlei Lästigkeiten zu kümmern. Jene Hirnchemie, die sich bisher sehr unbeeindruckt zeigt von den Antidepressiva, so dass wir die Dosis ab morgen erhöhen und mit Spannung darauf warten, ob aus der Erst- eine Zweitverschlimmerung wird.
Die dumpfgraue Leere versuche ich derweil mit purpurfarbenem Schmerz zu übertünchen, um wenigstens irgendetwas zu fühlen. Mit blutigen Fingern versuche ich, die Kiste, in der ich zumindest ein paar meiner Gefühle vermute, zu öffnen und ziehe mir bloß Splitter ein.

Schuldfrage

°Triggerwarnung°

Es ist kurz nach 7 Uhr abends, als meine Anspannung wie aus dem Nichts die Grenzen des auch nur annähernd erträglichen sprengt.
Ich versuche, auszuhalten. Mich zu beruhigen. Benutze Skills. Die Anspannung lacht.
Es dauert 40 Minuten, ehe ich mich entschließe, zur medizinischen Zentrale zu gehen und mit einem Co-Therapeuten zu sprechen. Hochstress. 99 von 100. Gründe? Ich habe nur eine diffuse Ahnung, die ich aber weder genau greifen, noch erzählen kann (denn wie würde es wohl aussehen, wenn ich sagen müsste, dass ich seit letzter Woche aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen zu viele Deziliter Blut verloren habe und heute auf Anraten meines Körpers wirklich nach einem letzten Mal davon Abstand nehmen wollte).
Ich habe vergessen, dass ich tatsächlich so etwas wie Bedarfsmedikation auf meinem Zimmer und in meiner Verordnung habe und es schaut auch niemand nach, als mir anschließend großzügig zwei Baldrian ausgehändigt werden, die nur durch Globuli noch an Absurdität überboten werden könnten – auch wenn man bedenkt, dass ich bis Anfang dieser Woche noch wegen deutlicher Suizidgedanken zweimal am Tag zum Gespräch musste und auch jetzt aufgefordert war, mir jederzeit Hilfe zu holen.
Ich will ihnen eine Chance geben. Wirklich. Nehme die Placebos Pflanzenwirkstoffe und skille weiter. Zehn Minuten. Zwanzig. Und finde mich am Ende mit blutiger Rasierklinge, einem zu tiefen Schnitt am Bein, klappernden Zähnen und – endlich – heulend in der Dusche wieder. Schmerzen suche ich vergeblich. Genauso wie irgendwelche anderen Gefühle.
Ich ignoriere, dass es wohl eigentlich mehr als ein Pflaster bräuchte und beschließe, dass es ausreichen muss, es morgen professionell versorgen zu lassen.

Achtundzwanzig

°Triggerwarnung°

Mein biologisch vorgesehenes Maximalalter wurde operativ auf ein Normalmaß korrigiert. Die Sinnhaftigkeit stelle ich in den letzten Wochen immer mehr in Frage. Vielleicht war es nicht richtig. Vielleicht hat sich meine Genetik etwas dabei gedacht, als sie mir diesen Zeitzünder eingebaut hat.
Aber nö, jetzt bin ich also immernoch hier. Gefangen in meinem Kopf mit defekter Hirnchemie, die den Begriff Innere Leere jeden Tag aufs Neue in ungeahnte Sphären treibt. Die Nichtfühlen für so viel besser hält als Vielzuvielaufeinmalfühlen und sich lieber Alkohol, Hungern oder Rasierklingen zuwendet – oder und – als dem, was andere gemeinhin als das Leben definieren. Die sich fragt, warum ich es vorgestern nicht einfach habe bluten lassen. Und verdammt, das hat es.

Maskenpflicht

Rosa und ich halten uns unauffällig an der Hand. Wir haben uns arrangiert und weil Frau Bezugseinzeltherapeutin weder so erfahren noch so gut wie der Herr Vertretungseinzeltherapeut ist, sieht sie es nicht. Er hätte es längst herausgefunden und mich in sämtliche Einzelteile zerlegt. Sie aber glaubt meinen Fortschrittsbekundungen – und ich spiele mit ihr, ohne dass ich genau sagen könnte, warum. Vielleicht einfach, weil ich es kann.

Wir reden über bewegungsfreie Tage, Post-Klinik-Wochenstrukturen und -Essenspläne, von denen ich allesamt nicht gewillt bin, sie auch nur ansatzweise einzuhalten. Das Konstrukt aus Halb- und Unwahrheiten trage ich hübsch demonstrativ vor mir her und es ist groß genug, um nicht nur Rosa, sondern auch SchwarzRotGrau und mich samt Gedankensalat dahinter zu verstecken.

Ich kann hier nicht gesund werden – weil ich es nicht will. Und keiner merkt es.