Body in Focus

Interessanterweise ist in den letzten Wochen mein Körper in meiner Aufmerksamkeits-TopList immer weiter nach hinten gerutscht. Er ist dünn, er verweigert die Menstruation, ich sehe Muskeln und Adern und Knochen an Stellen, die ich vorher nicht sehen konnte, und ich finde es verdammt gut so, also wende ich mich anderen Dingen zu. Sport. Essen. Sport. Nicht Essen.

Bisher hat mich niemand – abgesehen von nahestehenden Menschen – auf meinen Körper angesprochen. Doch das änderte sich diese Woche, drastisch sogar.

Situation 1.
Kaffeeküche am Morgen. Ein Kollege, mit dem ich nie mehr als 3 Sätze Smalltalk im Quartal rede, sagt, er habe mich ja lange nicht gesehen (immerhin, mein Klinik-Aufenthalt scheint nicht bis zu ihm getratscht worden zu sein) und ich sei so dünn geworden. Ob das Absicht sei?
Ja und nein. Ich mache sehr viel Sport zur Zeit. Als Pantoffelheld und Mann in den frühen 50ern muss er mir daraufhin gleich von seinen sportlichen Ambitionen berichten. Themenwechsel? Check.

Situation 2.
Eine berentete Kollegin ist zu Besuch. Ich sehe ihr an, dass sie mit den anderen schon über mich und die Klinik geredet hat und unfassbar neugierig ist. Ich gebe ausweichen Antworten. Und ich sei ja nur noch die Hälfte!
Ich mache sehr viel Sport zur Zeit. Was machen die Enkel? Es folgt ein Wortschwall. Themenwechsel? Check.

Situation 3.
Ich erzähle einer Kollegin von einer aktuell belastenden Situation (Katastrophe lässt grüßen). Sie sagt, ich werde immer dürrer,ob ich das wisse.
Ja, weiß ich. Ich mache sehr viel Sport zu Zeit. Ich kann gar nicht so viel Essen, wie ich verbrenne. Während ich noch nicht glauben kann, den letzten Satz wirklich gesagt zu haben, kommen wir zum Glück auf anderes zu sprechen. Themenwechsel? Check.

Situation 4.
Im Fitnessstudio. Eine Frau, die ich vom Sehen her kenne und bei der ich überzeugt bin, dass sie mich nicht leiden kann – ohne dass wir je miteinander gesprochen hätten, aber sie guckt mich immer so schräg an – spricht mich an. Ich hätte ja eine so tolle Figur! Ob ich so wenig essen würde?
Oh, danke. Ich habe wohl einen guten Stoffwechsel. Innerlich verdrehte ich die Augen über diesen Blödsinn und starte die nächste Trainingseinheit. Themenwechsel? Unnötig.

Ich hätte gerne stille Bewunderung oder Besorgnis. Aber tatsächlich ist es mit mehr als unangenehm, auf meinen dünnen, sportlichen, schönen Körper angesprochen zu werden. Weil ich weiß, dass gesund gerade keines der zutreffenden Adjektive für ihn ist.

Alte Wunden

Gerade ist 2003. Und 2006. Und alles dazwischen, bis 2009, weil ich alte Tagebücher gelesen habe und die Gefühle, die Leere, die Zerrissenheit und die Verzweiflung so fühle, als wären nicht Jahre vergangen, sondern Minuten. Maximal.
Ich weiß, dass es nichts bringt, mich darin zu verlieren, weil ich nicht finden werde, was ich schon damals verlor.
Und doch ist da so viel, was mich anzieht, so dass ich mich in einem schwarzen Strudel wiederfinde, der mich zu ersticken droht. Ich dachte, ich wäre damit durch. Aber es ist nur ein Pflaster drauf, und ich habe es gerade abgerissen. Es blutet.

Vertrauensfrage

Ich suche mir einen neuen Hausarzt. Ich habe das lange vor mir hergeschoben, aber für den jetzigen Urlaub habe ich es mir vorgenommen. Nach allem, was mir dort an den Kopf geworfen wurde, mag ich einfach nicht mehr dort hin.

Heutemorgen.
Traumhaftes Wetter, also gehe ich zu Fuß ins Dorf, wo ich einen Friseur-Termin habe. Meine noch-Hausarztpraxis ist gleich nebenan, also gehe ich vorher dort vorbei und bitte um eine Kopie meiner Patientenakte. Die Sprechstundenhilfe blafft mich in bekannter Manier an, ob ich vorher angerufen habe und dass das jetzt am Vormittag mal gar nicht ginge, weil Montag, und was ich denn eigentlich genau wolle und wofür? Ich wiederhole freundlich, aber bestimmt, was ich möchte, dass ich die nicht sofort brauche und gerne nach meinem Friseur-Termin nochmal vorbeischaue, wenn sie Gelegenheit hatte, mit einem der Ärzte zu sprechen. Ich rechne damit, dass ich morgen wiederkommen soll, und mit weiteren blöden Bemerkungen.
Als ich nach einer 3/4 Stunde zurückkomme, erhalte ich wider Erwarten tatsächlich meine fertige Kopie (gar nicht so billig…) und spaziere durch die Wintersonne wieder Heim.

Vorm Öffnen des Umschlags habe ich Schiss. Also gehe ich erstmal die frisch frisierte Frisur zerduschen, stelle eine Maschine Wäsche an, fülle die Miezen, putze das Duschregal. Dann traue ich mich.
Neben viel Kauderwelsch kann ich auch einiges rauslesen und fühle mich darin bestätigt, dass ich mir eine neue Praxis suchen sollte. Immerhin, nach dem gewünschten Telefonat des noch-Hausarztes mit meiner inzwischen-nicht-mehr-Therapeutin ist die Borderline-Diagnose rausgeflogen.

Die neue Praxis, die ich mir im Nachbarort rausgesucht habe, schließt gerade, als ich die Telefonnummer im Netz suche, aber *TrommelwirbelweilLandarzt* sie haben eine Homepage und eine Mailadresse, also schreibe ich hin. Schon eine halbe Stunde später habe ich eine sehr nette Rückmeldung, so dass ich heuteabend, wenn sie wieder Sprechstunde haben, anrufen und einen Termin machen werde.

Nun ist die Frage, möchte ich zu Frau Dr. Schulmedizin oder Herr Dr. Ganzheitlich? Das finde ich gar nicht so leicht zu beantworten. Ich hätte lieber einen Arzt, ohne dass ich sagen könnte, woher die Präferenz für einen Mann kommt – auch für die Therapie(n) hätte ich eigentlich lieber Männer gehabt. Aber an Homöopathie glaube ich etwa so sehr wie an den Mondkalender, nämlich garnicht. Also doch Frau Dr. Schulmedizin? Mal schauen. Schatz fragen, wenn er von der Arbeit zurück ist.

Außerdem mag ich diese Stelle für ein Schulterklopfen in eigener Sache nutzen. Weil ich die Sonne und den Spaziergang genossen habe, beim Doc war, mich von der Sprechstundenhilfe nicht habe verunsichern lassen, Wäsche wasche, das Regal saubergemacht, die Kaffeemaschine entkalkt, gelüftet, beim Tierarzt angerufen und die Mail geschrieben habe. Und was gegessen habe ich auch.

Heute ist ein guter Tag.

Hatte ich erwähnt, dass es schneit?

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Mein freier Tag beginnt unsanft mit dem Geräusch des Frontladers, der über das Pflaster auf unserem Hof schrammt und Schnee räumt. Ich habe Kopfschmerzen und wieder einmal ist einer der ersten Gedanken der an Selbstverletzung.
Es ist viel zu früh, noch nichtmal ganz hell draußen. Ich mag nicht aufstehen, tue es aber doch irgendwann, um mich nicht noch tiefer in meinen Gedanken zu verstricken. Über Nacht sind teils 1,20 Meter hohe Schneewehen entstanden, vom Zaun um den Gemüsegarten sieht man nur noch das obere Viertel. Nicht die schlechteste Entscheidung, heute frei zu nehmen.

Alles in mir schreit nach Kaffee (und anderem, aber Kaffee ist gesellschaftsfähiger), und Schatz kommt schon von der ersten Schaufelaktion rein. Macht mich ganz nervös, weil er neben mir, die ich auf der Couch mit Kaffee und Handy wach zu werden versuche, nach draußen zum Vogelhäuschen knippst und dann in der Küche hantiert. Das Geräusch von Geschirr auf Geschirr tut mir in den Ohren weh.

Es ist fast Mittag, als wir nach über 2 Stunden erneuter und diesmal gemeinsamer Schneeschaufelei wieder reinkommen und duschen gehen. So viel Schnee habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Hübsch – wenn man nicht schaufeln muss.
Immerhin, mein Kopfweh ist weg und meine Stimmung ist – etwas – besser. Aber es schneit weiter. Und schneit. Und schneit.

Am Ende

Ich darf endlich wieder ins Bett. Aber anders als bei den Puppen, die beim Hinlegen die Augen schließen, gehen meine auf, als mein Kopf das Kissen berührt und ich das Licht ausschalte.
Der Tag war lang und ätzend. Brennende Kopfschmerzen, den ganzen Tag, weil ich seit Tagen nicht gut schlafe. Ich habe wieder mit Lasea angefangen, die mir das Ein- und Durchschlafen leichter machen. Dennoch fühle ich mich seit Tagen beim Aufwachen erschöpfter, als beim Schlafengehen.
Was am Tag zuvor erstaunlich gut funktionierte – mir sagen, dass Nachdenken nichts bringt und ich einfach schlafen sollte – zeigt jetzt keinerlei Wirkung. Ich denke an die Fahrt zur Arbeit, und dass ich fast umgedreht wäre an diesem Morgen, weil ich mich so unendlich müde fühlte und aus Angst, Erschöpfung und Sorge Weinen musste. Ich denke an die Fahrt nach Hause, bei der ich mich richig erschrocken habe, als mir auffiel, dass es erst Dienstag ist und ich noch 3 weitere Tage vor mir habe.
Ich liege also im Bett und denke. Schlafe ein, wache auf, denke, döse, und hoffe nicht, dass ich es am nächsten morgen trotzdem schaffe, aufzustehen.

Als ich wieder mal aufwache und nach langer Zeit doch auf die Uhr schaue, ist es 3.20 Uhr. Der Wecker geht in 1 1/2 Stunden, ich fühle mich, als hätte ich garnicht geschlafen. Ich bemerke Bauchkrämpfe, gehe zur Toilette und nehme eine Tablette. Als ich wieder ins Bett gehe, denke ich, dass ich unmöglich so arbeiten gehen kann. Eine Stunde Autofahrt in der Verfassung – keine gute Idee. Ich schreibe eine Email, melde mich krank, und schalte den Wecker aus. Endlich kann ich etwas schlafen.

Es ist kurz vor 9, als ich aufwache. Mein schlechtes Gewissen ist auch gleich da und hält mir vor, was für eine faule Sau und ein schlechter Mensch ich bin, dass ich heute krank bin blau mache.
Ich brauche fast eine halbe Stunde, bis ich mich zum Aufstehen aufraffen kann. Meine Knie tun aus unerfindlichen Gründen weh, ich habe immernoch, oder schon wieder Kopfweh, in meinem Handgelenk scheinen aus genauso unerfindlichen Gründen einige Nerven entzündet zu sein. Meine Bauchkrämpfe sind immernoch leicht da, meine Periode nach wie vor nicht – heute ist Tag 34 und ich weiß, dass ich nicht schwanger bin, auch wenn mein Bauch derzeit wie im 3. Monat ausschaut, weil er mal wieder so geschwollen ist (und ich mich wirklich mal auf Endometriose untersuchen lassen sollte). Ich habe das Gefühl, mein Körper will mir sagen, dass irgendetwas mal so überhaupt nicht stimmt. Mir fällt ein, dass mir in der Nacht ständig zu heiß oder zu kalt war, und mein Lymphknoten am Hals geschwollen war.

Ich versuche also, meinem schlechten Gewissen so wenig Raum wie möglich zu geben, während es mir weiter einzureden versucht, dass ich genauso gut hätte Arbeiten gehen können, statt faul und unproduktiv auf dem Sofa herumzusitzen. Den Tag zu nutzen, um etwas zur Ruhe zu kommen und mich um mich selbst zu kümmern.

Am Ende wird sich zeigen, wer gewinnt.

Fremdbild|Selbstbild

Aber was man im Inneren ist, zählt nicht. Das was wir tun, zeigt, wer wir sind.

Batman begins

Ist das so? Zählt nur das, was ich tue? Oder ist es nicht vielmehr eine Frage der Perspektive – aus der Sicht der Anderen mag das zutreffen. Aus meiner nicht.

Die Anderen: meine Arbeitskollegen

Sie sehen eine – meistens – selbstbewusste, verständnisvolle, etwas nachgiebige, aber immer kompetente und umgängliche Kollegin und Vorgesetzte, die lösungsorientiert handelt und nicht weniger als 100% gibt.

Die Anderen: meine Familie

Sie sehen eine stille, unauffällige und zurückgezogene Tochter/Nichte/Cousine/…, die nur selten Schwächen zugibt und lieber nichts als das Falsche sagt. Die sich lieber nicht meldet, als negativ aufzufallen.

Die Anderen: meine (wenigen) Freunde

Sie sehen mich – selten. Als was? Keine Ahnung.

Die Anderen: mein Mann

Er sieht mich als das, was am ehesten dem nahekommt, was ich bin. Liebe- und Harmoniebedürftig, verletzlich, instabil, nachdenklich, nicht gesund.

Die Anderen: meine Therapeutin

Sie sieht mich als reflektierte, motivierte, ein wenig außergewöhnliche, etwas zu stille, aber sehr beflissene Patientin, die während der Therapie riesen Fortschritte gemacht hat und stolz auf sich sein kann. Als jemand, der auf dem besten Weg zu einem gesünderen, zufriedeneren Leben ist und als jemand, der bloß aus Appetitlosigkeit von Termin zu Termin dünner wird.

Ich

Fühle mich, als würde ich mich bloß anstellen, reinsteigern, Probleme haben wollen, als wäre ich aufmerksamkeitsgeil, unsicher und ungenügend. Als hätte ich nur Mini-Schritte in der Therapie gemacht. Als Lügnerin, weil ich Schatz und Frau Therapeutin im Brustton der Überzeugung sage, ich wolle nicht weiter abnehmen (und das berauschende Gefühl der Kontrolle nichtmal erwähne) und natürlich weder an SV noch an ein Ende denke. Oder daran, mich irgendwie zu berauschen.

Ich, die ich an mir selbst und am Leben manchmal mehr, selten weniger,verzweifle. Ich, die ich meine Klinge nicht wegschmeißen kann. Ich, die ich – erst in letzter Zeit, aber dennoch – zu oft etwas trinke. Ich, die ich – erst in letzter Zeit, aber dennoch – zu selten etwas esse. Ich, die gerne einen Unfall hätte. Ich, die gerne jemand anderes wäre.

Ich bin nicht das, was die Anderen sehen. Aber zählt es?