Mordlust

Der Geruch macht mich wahnsinnig. Ich stehe in der Küche neben dem Ofen, in dem Schatz erst eine Pizza und nun Schokokekse backt.

Ich würde töten für eine Scheibe Käse, die ich in den Ofen legen und damit diese Kekse überbacken könnte. Denn so riecht es – nach mit Käse überbackenen Schokokeksen, und ich kann mir nichts geileres vorstellen, auch wenn ich mich ein bisschen darüber wundere.

Weil Rosa und ich uns aber – nicht fair verteilt, aber dennoch – notgedrungen ein Gehirn teilen, kommt töten nicht in Frage, also stehe ich nur da, blättere meinen Katalog weiter durch und beruhige Rosa, dass wir von der Vorstellung allein ebenso wie vom Geruch nicht zunehmen werden, auch wenn sie genau das befürchtet – wie auch vom Massageöl gesternabend, welches bestimmt durch meine Haut in die Zellen diffundiert und es sich dort gemütlich macht.

Ich nippe an meinem – kalorienfrei – gesüssten Tee.

Ereignishorizont

Während das Leben munter vor sich hin mäandert, geht mir der Bezug dazu mehr und mehr verloren. Wenn Rosa sich nicht gerade ums Essen, nicht Essen, Kalorien oder Sport dreht, kreise ich ausschließlich um den Gedanken an die Klinik.
Dabei fällt mir auf, dass Rosa ganz schön hässlich werden kann und dabei trotzdem jederzeit cute, but psycho wirkt. Mit kleinen, äußerst niedlichen Fangzähnchen hat sie sich in mir verbissen und krallt sich mit allen Extremitäten an und in mir fest. Ich finde das schön und grauenvoll zugleich. Sie flüstert mir liebevoll ins Ohr, dass ich nicht krank, aber mindestens nicht krank genug bin.
Tage fließen ineinander, ich umarme mich beim Sport selbst und rede mir gut zu, um auch diese Einheit noch zu überstehen. Alles, was nicht den Weg auf meine ToDo-Liste findet, versinkt umgehend im Nebel meines mangelernährten Hirns und hinterlässt nur ein kleines gedankenloses Loch, dessen Inhalt sich nur selten rekonstruieren lässt.
Das eine Ziel, endlich loslassen zu müssen dürfen, liegt nur Millimeter außerhalb meines Zugriffs und ich hoffe jeden Tag, dass das Telefon geht und ich morgen in die Klinik darf. Ich hasse hoffen, wenn das Telefon schweigt.

Sandsack

Ich weiß schon, warum ich in den letzten Tagen mein Homeworkout vermieden habe und stattdessen ins Studio gefahren bin. Um nicht wie heute zwischen zwei Übungssätzen auf der Matte zu liegen und relativ verzweifelt darauf konzentriert zu sein, die Dämme am Brechen zu hindern, die sich als zu niedrig und zu porös herausstellen, wenn ein Könnte rein hypothetisch möglich scheint, weil kein Muss vorhanden ist.

Im Studio stellt sich die Frage schlichtweg nicht – so lange Körper nicht die Reißleine zieht, ist da ausschließlich Sport in meinem Kopf. Aber ich bin nicht im Studio, sondern in der Garage auf der Matte, und ein gepflegter Nervenzusammenbruch scheint sehr verlockend – und anschließend eine große Pfanne Käsespätzle ganz für mich allein.

Rosa hält davon aber nichts, blendet mir stattdessen die tägliche Zahl auf der Waage ein und meint, dass ich gefälligst weiterzumachen habe.

Einatmen. Ausatmen. Nächster Übungssatz.

KopfSalat. Konzentration ist Mangelware, Verpeiltheit an der Tagesordnung. Angst vor Corona gesellt sich zu Überzeugung, nicht krank genug für die Klinik zu sein und die bevorzugte Aufnahme dort nicht verdient zu haben, auch wenn beides sich widerspricht. Ich bin totally lost und warte jeden Tag, jede Minute auf den Anruf der Klinik, damit ich noch am Telefon heulend zusammenbrechen kann, weil ich Angst habe und entsetzlich erleichtert bin. KopfSalat Ende. Nicht.

Zäh

Zeit ist gerade nicht nur ausgesprochen relativ, sondern auch ausgesprochen lästig.
Wahrnehmungslücken scheinen oft nicht unwahrscheinlich, wenn mir wieder einmal dutzende Minuten abhanden kommen. Zeit, der ich aber auch nicht wirklich nachtrauere, weil es heißt, dass sie weg ist, ohne dass ich nachhelfen musste.
Alles dreht sich nur darum. Wann ist Zeit zum Schlafen, wann ist Zeit zum Aufstehen, wann zum Essen, wann zum Sport, wann zum Tee kochen. Nicht unsubtil gesellt sich Rosa dazu und füllt jeden Moment, jeden Augenblick mit Gedanken an Essen, Nichtessen, Essenszubereitung, Essensplanung, Sport.
Ich. Mag. Nicht. Mehr.
Mein Gehirn übrigens auch nicht. Wie gut, dass ich mein Urlaub rum ist und ich morgen wieder arbeiten darf. Da kommen die Lücken sicher besonders gut zur Geltung.

Abhängigkeiten

Tagesform. In Rosas Welt nicht existent und damit nichts, über das Körper oder ich uns Gedanken machen sollten.
Haben wir auch nicht. Nicht, als wir heutefrüh beim Sport waren und es ätzend fanden. Nicht, als wir Mittag zum Einkaufen los sind und es so anstrengend war, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber, als wir danach auf dem Sofa saßen, das Maß an Erschöpfung eine neue Dimension erreichte und ich den Tränen nahe war, weil ich eine Freundin am Nachmittag besuchen wollte – da mussten wir dann doch dran denken. Und zwar, dass es die heutige nicht zulässt, jetzt noch etwas anderes zu tun als Tee zu kochen, weiter auf der Couch zu sitzen und Youtube leerzuschauen.
Und während ich das trügerische Gefühl habe, mir den Tag auf der Couch zu gönnen, statt garkeine andere Wahl zu haben, sitzt Rosa so verdutzt wie pläneschmiedend neben mir und überlegt, wie sie mich doch noch für ein paar Schritte begeistern kann.
Körper findet es gerade einfach nur großartig, daher lehnt er jeden Vorschlag selig ab.
Ich handle mit Rosa derweil die Bedingungen für morgen aus.

Kräftemessen

Teil Drölfzundneunzig aus der Reihe „Mimimi“.
Meine Kalorien habe ich nicht noch weiter reduziert, nachdem die Waage am nächsten Morgen sehr versöhnlich war und Rosa gleich mit. Allerdings lässt sie sich nicht dazu erweichen, mir eine Sport- oder anderweitige Bewegungspause zu gönnen, auch wenn wir Urlaub haben. Den haben wir schließlich nicht zum Spaß, sondern um die Tage mit möglichst viel Aktivität zu füllen. Und auch, wenn ich für heute herausschlagen konnte, den Ausflug – nach dem Sport heutefrüh natürlich – auf Samstag zu verschieben, werde ich mich wohl noch ans Wischen der gesamten Wohnung machen, die es nicht nur sehr nötig hat, sondern auch wunderbar dazu geeignet ist, den Schrittzähler noch etwas in die Höhe zu treiben. Besonders, wenn man vorher erst noch staubsaugt.
Dabei kann ich einfach nicht mehr. Von mögen mal ganz zu schweigen. Aber meine oder Körpers Stimme zählt nunmal nicht, findet Rosa, also machen wir weiter. Das Handy immer dabei, in der stillen Hoffnung, dass genau jetzt die Klinik anruft und ich morgen schon kommen darf, so dass mir endlich jemand erlaubt, nichts zu tun und alles zu essen. Tut sie aber nicht.