Anführungszeichen

Ich frage mich, was sie meint mit Hauptsache, du bist „gesund“ und welchen Unterschied es macht, ob ich gesund oder „gesund“ bin, oder ob es einen geben sollte oder könnte oder müsste? Oder ob es nicht wichtiger wäre, wenn es mir einfach gut ginge?
Da ist sie, meine unangefragte Antwort darauf, warum ich eine Pause von meiner Familie brauche und die bloße geografische Entfernung mehrerer 100 Kilometer nicht ausreichend ist. Abstand ist mehr als physische Distanz.
Und nein, ich bin nichts davon. Nicht gesund – egal in welcher Schreibweise – und gut geht es mir auch nicht.
Und wieder einmal möchte ich eskalieren und dramatisch sein.

Brachland

Der Schlag in die Magengrube treibt mir die Luft aus den Lungen, so dass es nicht für mehr als ein lautloses Wimmern reicht. Mein Kopf dröhnt und ganz viel NichtGefühl verknotet sich zu maximaler Verwirrung, die mich in Ketten legt.
Etwas weint. Verzweifelt, unartikuliert. Kein Wunder, is es doch erst etwas älter als ein Jahr und Sprache ist noch so unbedeutend.
Wieder wird es abgewiesen. Wieder wird es nicht gesehen. Wieder wird es enttäuscht, weil es offensichtlich nichts zu geben scheint, was Beachtung verdient.
Und wieder ist Rot einfach nur so hilflos, dass sie Rosa und den Parasit – vorallem den Parasit – weiter anstachelt und um Sichtbarkeit bettelt.

Wieder stolpere ich über die Dinge, die ich nicht bekomme und nicht artikulieren kann, weil es doch keine Worte dafür gibt. Weil Sprache keine Bedeutung hat. Weil nur und ausschließlich Körperlichkeit zählt.

Ich will flüchten und mich unsichtbar machen, Kontakte beenden und dramatisch und blutüberströmt sein.

Integrität

32,375 Stunden. Mehr braucht es scheinbar nicht, um mich um Monate zurückzuwerfen. Ich fühle mich vergiftet, erschöpft und frustriert und meine innere Anspannung winkt mit dem Zaunpfahl, ohne dass sie dabei besonders dezidiert in eine Richtung deuten würde.
Das beständige BeeDooBeeDoo aus dem Badmülleimer wird langsam anstrengend und Youtube leerschaun ändert auch nur wenig daran. Der Parasit untermalt das Ganze mit forderndem Heulen und wispert mir Verführungen ins Ohr, weil er nicht begreifen will, warum ich die Klinge nicht wie geplant mit unter die Dusche genommen, sondern verbogen und weggeworfen habe. Ich begreife es selbst nicht und habe keine Ahnung, wie ich das tiefdunkle Sehnen ohne sie loswerden soll.
Rosa möchte an dieser und möglichst vielen anderen Stellen unbedingt noch erwähnen, dass jetzt 40% des in der Klinik zugenommenen Gewichts wieder weg sind. Dass das eigentlich nicht zu unserem Deal gehört, ignoriert sie geflissentlich und ist maximal verwirrt, als wir plötzlich mitten am Nachmittag ein kleines Porridge essen.

Jetzt hält sie dem Parasit ein Megafon vor die Nase.

Intoxikation

Das System, auf das ich zur Beerdigung meiner Oma treffe, könnte kaputter kaum sein. Zumindest hat es so scharfe Kanten, dass ich fluchtartig schon einen Tag früher als geplant wieder im Auto sitze und lieber 7 + X Stunden Freitagsverkehr in Kauf nehme, als noch eine Minute länger an dem Ort auszuharren, bei dem der einzig beständige Gedanke Ich muss hier weg ist.

Während Papa innerhalb weniger Atemzüge erst meine zu schlanke Figur kommentiert, dann mein – natürlich mitgebrachtes – Abendessen als kalorientechnisch deutlich günstiger einstuft als seine zwei Laugenbötchen mit einem großen Pott billiger Krabbenmayo und sich dann darüber auslässt, dass er im Urlaub ja so viel zugenommen hat und dringend abnehmen muss, kämpfe ich damit, überhaupt etwas zu essen.

Rosa hat ihre beiden Rockzipfel in der Hand und macht einen tiefen Knicks, als alte Halbbekanntverwandte vor der Kirche nichts besseres zu sagen wissen als ein vor Bewunderung triefendes °Hömma, schlank bisse!°
Ich ziehe es vor, nicht darauf einzugehen, dass Körper menstruieren gerade nur so semi verfolgt und Rosa gerade meine größte Stütze ist.

Ich sitze vor meinem ineinander gestapelten Kuchenservice und ringe mich mit Mühe und Not zu einem Latte Macchiato durch, während die Verwandtbekanntschaft über Wurstbrote und Windbeutel herfällt.
Schwager erzählt stichelnd, wieviel Kalorien mein Bruder täglich für seinen Muskelaufbau verputzt und dass er alles fein säuberlich trackt. ° Also das wär mir viel zu anstrengend! ° stellt Cousine halb amüsiert fest. Deswegen essen wir einfach nichts, denkt Rosa.

Ich kann meine Jeans ausziehen, ohne dass ich die Knöpfe aufmache.

Alter

Es ist September und meine Oma ist gestorben. Ich fühle mich erleichtert, weil ich finde, dass es schon lange kein Leben mehr war und ich irgendwie froh bin, dass sie nicht noch weitere Jahre auf diesem kaputten Planeten dahinvegetieren muss.
Ich fühle mich ein bisschen schlecht deswegen. Und weil ich nicht heulend in der Ecke sitze und stattdessen amüsiert vor mich hin denke, dass sie zwei Mal geimpft, im September gestorben und daher mit ihren 94 Jahren bestimmt der beste Beweis ist, dass alle Geimpften diesen Monat wohl nicht überleben. °AchtungIronie°
Trotzdem reicht es so langsam mit den schlechten Nachrichten. Erst die Katastrophe Teil drölfzig, dann hält die Krankenkasse Schatz ab in zwei Wochen wieder für Arbeitsfähig (hatte ich schon Katastrophe erwähnt?!) und dann enden gleich zwei Existenzen, auch wenn die Zweite nur das erste Mental Health Café Deutschlands war, mit dem ich mich auf seltsame Art und Weise verbunden fühle. Genug jetzt, bitte.

Manchen Dingen kann man einfach nur so begegnen.

Signalstärke

Nach dem Stress der letzten Wochen, in denen auf eine Pilzinfektion erst das Ausbleiben meiner Menstruation und dann eine Blasenentzündung folgten, ist meine Mama erneut zu Besuch. Du siehst gut aus! sagt sie. Siehste! sagt Rosa, die am nächsten Morgen mit mir das neue Tiefstgewicht seit meiner Entlassung bewundert.

Wir essen jetzt trotzdem mehr und ich bin ein kleines bisschen stolz auf Rosa, dass sie einigermaßen brav mitzieht.