Sie stand also wieder auf dem Seil, an dem sie bis vor kurzem nur noch mit wenigen Fingern gehangen hatte, unter ihr der gähnende Abgrund.
Zunächst hatte sie eine Kulisse um sich herum aufbauen lassen. Eine sichere Blase, mit einer grünen weichen Wiese nur wenige Zentimeter unter dem Seil, und schützenden Wänden und einem Dach, so dass die vor dem Außen sicher war. So konnte die das Balancieren ganz neu einüben, denn ein Straucheln und Fallen endete bloß im weichen Gras. Und sie strauchelte und fiel, aber sie stand auf und versuchte es erneut, diesmal erfolgreich. Von Tag zu Tag wurde es leichter auf dem Seil, die Strecken wurden länger, das Straucheln weniger.
Und nach einigen Wochen kam der Punkt, als die Kulissen abgebaut wurden, und auch die Wiese verschwand. Dafür hatte sie sich eine Balancierstange gebastelt, an der sie sich festhalten konnte. Aber unter ihr war nicht mehr der schwarze Abgrund, sie konnte den Boden sehen, ziemlich nah. So nah, dass sie im Notfall mit einem Bein vom Seil herabsteigen und sich stabilisieren konnte. An den Wind, der nach dem Wegfall der Wände nun wieder spürbar war, musste sie sich erst noch gewöhnen. Und auch daran, dass das Seil wieder höher über den Boden stieg, aber dafür hatte sie ihre Stange bei sich, auf die sie ihr ganzes Denken fokussieren konnte. Andere wähnten den freihändigen Tanz auf dem Seil als ihr nahes Ziel, aber sie hing noch viel zu sehr an ihrem Helfer, um das auch nur ein Erwägung zu ziehen. Schritt für Schritt.