Feierabend. Ein Eichhörnchen wird angefahren. Ich schaue zu. Ich fahre weiter.
Wie jetzt?!
Es staut sich, es dauert sicher noch 2 bis 3 Ampelphasen, bis ich überhaupt an der Kreuzung ankomme. Die Straße ist mehrspurig, der Straßenrand zugeparkt, die Supermarkt-Einfahrt trägt nicht zur Entspannung der Verkehrssituation bei.
Ich bin mit dem Kopf noch halb in der Arbeit, als ich aus dem Augenwinkel ein noch ziemlich kleines Eichhörnchen sehe. Ich denke “Oh schön, ein Eichhörnchen =)“, und im nächsten Moment, als es auf die Fahrbahn läuft “Oh nein, ein Eichhörnchen!“.
Es wuselt unter den parkenden und haltenden Autos geradewegs auf meine Spur zu. Die Ampel ist rot, alle Autos stehen. Es läuft vor dem Auto her, welches vor mir steht, ich verliere es aus den Augen. Denke – hoffe – dass es kehrt gemacht hat und wieder auf den Grünstreifen rennt.
Dann sehe ich es wieder. Gegenfahrbahn. Vielleicht sieht der Fahrer es sogar, er wird langsamer. Und Hörnchen hätte es geschafft, wäre es einfach weiter gerannt. Aber Hörnchen bekommt Panik rennt vor und zurück, und ich kann nicht wegsehen. Ich sehe, wie es irgendwie mit den Reifen kollidiert. Aber es lebt und ich denke einen Moment, dass es echt Glück hatte. Dann robbt es wieder zu der Straßenseite, von der es kam. Die Hinterbeine bewegt es nicht mehr, mit den Vorderpfoten zieht es sich – erstaunlich schnell – vorwärts. Mir wird auf der Stelle übel. Die Ampel bleibt rot. Rechts Autos, links Autos. Keine Möglichkeit, stehen zu bleiben und Hörnchen zu helfen. Keine Handschuhe im Auto, und vermutlich wäre ein schneller Tod die einzig “richtige“ Entscheidung. Aber ich kann hier nicht anhalten und mitten in der Großstadt ein verletztes Hörnchen mit bloßen Händen jagen und töten – oder es irgendwie zu einem Tierarzt bringen, weil ich es nicht übers Herz bringen würde, es selbst zu erlösen. Das alles geht mir in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf.
Die Ampel wird grün. Ich fahre fünf Meter weiter. Stehe wieder. Hörnchen sehe ich nicht mehr, übel ist mir immernoch.
Ich rede mir ein, dass ich nichts tun konnte. Hoffe, dass es nur eine Prellungen ist und Hörnchen wieder gesund wird. Dass es keinem Hund, keiner Katze oder einem grausamen Menschen zum Opfer fällt, oder dass jemand anders das gleiche gesehen hat und – irgendwie – helfen konnte.
Ich frage mich, ob es einen Unterschied macht, weil ich überhaupt über diesen Unfall nachdenke, statt es gleich wieder zu vergessen oder im Feierabendverkehr gar nicht erst zu bemerken.
Für Hörnchen nicht.
Nun, da ich Deinen Text gelesen habe, werden mir die Bilder, die Du darin widergegeben hast, wie wohl Dir selbst, auch nicht mehr aus dem Kopf gehen. – Mich fassen solche Begebenheiten sehr an. Ich fühle buchstäblich Schmerz, es wird mir eng ums Herz, und Traurigkeit steigt in mir hoch.
Ja, liebes Flügelwesen, es macht einen Unterschied, ob wir über so einen Unfall nachdenken oder ihn einfach vergessen. Es macht den Unterschied des Maßes an Sensibilität, an Empathie, das wir im Verhältnis zu anderen Menschen verkörpern.
Das ist Fakt. Ich will das weder als „gut“ oder „schlecht“ bewerten, wissend, dass ein Leben mit viel Empathie und Sensibilität eher nicht so einfach ist. Schon gar nicht in den Zeiten, in denen wir leben.
Aber ich finde es gut und wichtig, dass es sehr sensible und einfühlsame Menschen gibt. Vielleicht auch ein bisschen deshalb, weil ich selbst einer „von dieser Sorte“ bin …
Dankeschön, dass Du Dein Erleben hier geteilt hast.
Viele freundliche und liebe Grüße an Dich!
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Hallo sternenflüsterer,
ich danke dir für deine Worte.
Ich hatte Bedenken, diese Gegebenheit zu teilen, weil ich Angst habe, verurteilt zu werden – weil ich selbst es tue und auf den Gedanken „hätte ich doch…“ immer noch reinfalle.
Ich denke oft an Hörnchen. Ganz plötzlich habe ich wieder die Bilder vor Augen. Nein, es lässt mich nicht kalt, ganz und garnicht.
Ich gebe dir recht, dass ein Leben mit Sensibilität/Empathie nicht immer einfach ist, aber auch wenn es manchmal hart ist, ist es wahrscheinlich auch irgendwie ein Stück „reicher“.
Ich grüße dich sehr freundlich und lieb zurück!
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Ich versteh‘ Dich sehr gut. Aus meiner Sicht gibt es ganz und gar nichts zu verurteilen. – Die weiteren Zeilen Deiner Antwort auf meinen Kommentar empfinde ich als sehr schön, und, was seinen letzten Teil betrifft auch als sehr wahr. – Ich sehe es ebenso.
Hab‘ ein schönes und entspanntes Wochenende – wieder liebe Grüße!
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