Ein ganz normaler Tag. Auf einer grünen, frühlingsblühenden Wiese begegnet sie Menschen, Fremden und nicht so fremden, die sie mit blinden Augen ansehen. Manche gehen vorbei, manche verweilen einen Moment, doch keiner kann sehen. Sehen, was sie sieht, wenn sie ihre Augen schließt und ein normal Tag zum Untier wird.
Es hat zehn Beine. Mindestens. Und überall Stacheln und Zähne, allesamt scharf und gefährlich. So stellt sie es sich vor.
Wenn es will, kann es sich leise und unbemerkt anschleichen, sich zwischen ihren Gedanken verstecken. Aber wenn es erstmal da ist, beißt es sich fest und es ist ihm egal, dass sie es zu bekämpfen versucht. Es wird nicht loslassen, im Gegenteil. Es bohrt seine langen, spitzen Zähne immer tiefer in ihren Geist, seine Klauen schlagen um sich. Dann wird es draußen dunkel, laut und kalt, weil es ihr die Augen zuhält, ins Ohr brüllt und ihr Herz zerquetscht. Es frisst ihre letzten positiven Gedanken, so dass nur die schlechten übrig bleiben und sich in dem entstandenen Vakuum aufblähen, zu viel Platz einnehmen.
Die anderen sehen nicht, was dort vorgeht, in ihrem Kopf. Welchen Kampf sie bestreitet, während sie sich mit ihnen über den Frühling unterhält. Und so fragt sie sich, ob sie sich das Untier nur einbildet, wenn es doch sonst niemand sehen kann und es keine Spuren auf ihr hinterlässt. Hektisch versucht sie, einen Beweis für die Existenz des Untiers zu finden, welches durch ihren Kopf wütet, während die anderen nur Augen für die Blumen haben. Hören sie sein Brüllen nicht? Spüren sie nicht die Kälte, die Dunkelheit? Einbildung! Schreit ihr Verstand. Erst als sie die einzelne Strieme auf ihrem Arm entdeckt, wird sie langsam ruhiger. Sieht die Blumen, hört das leise Summen der Insekten. Fühlt die Wärme, die ihren Arm herunter läuft und bemerkt gar nicht mehr, wie das Untier mit einem zufriedenen Grinsen vorerst verschwindet.
15.03.2015