Mit Unwillen, ja Abscheu, sah sie das Kostüm an, das sie am Freitag achtlos in eine Ecke geworfen hatte. Zerknittert lag es am Boden, zusammen mit ihren Plänen und ihrer Hoffnung. Es passte ihr nicht so richtig. Schien viel zu eng, unbequem.
Und es war kein Superheldenkostüm, welches seinem Träger allein durch sein Überstreifen zu Superkräften verhalf. Ganz im Gegenteil. Es war so dünn, dass jeder Angriff direkt zu ihr hindurch drang und eine heftige Verletzung hinterließ.
Und die konnte sie nicht ausziehen und in eine Ecke schmeißen.
Damals hatte sie es mit Begeisterung angezogen, als man es ihr hingehalten hatte. Es war so neu, so glänzend, so verheißungsvoll. Die Erwartungen, die daran geknüpft waren, hatte sie abgetan und sich blenden lassen. Als würde dieses Kostüm einen anderen Menschen aus ihr machen, ihr die auferlegten Aufgaben abnehmen und sie tragen.
Blödsinn.
Jetzt musste sie Tag für Tag nicht nur diese alberne Hülle tragen, die die anderen glauben machen sollte, sie sei jemand anderes, sondern auch alle Aufgaben und Erwartungen, die bleischwer auf ihren Schultern und ihrem Verstand lagen.
Das Maskengesicht, was sie nun täglich im Spiegel ansah, war in der Ecke zu einer lächerlichen Fratze in sich zusammengefallen und lachte sie aus. Ein hämischer, mahnender Blick, der ihr jeden Abend das eigene Versagen vor Augen führte.
Und noch etwas hatte ihr vorher niemand gesagt. Die Verantwortung war nicht an das Kostüm geknüpft, sondern an sie selbst. Sie hatte sich an ihren Verstand gekettet, so dass sie sie nicht abends ausziehen und von sich werfen konnte. Die Verantwortung blieb, trieb ihre rostigen Haken tief in sie hinein, und wurde jeden Tag schwerer.
Und sie war es auch, die sie am Montag wieder dazu bringen würde, sich in dieses falsche Kostüm zu zwängen, die Maske aufzusetzen, und jemand zu sein, der sie nicht war.
07.01.2018